Kapitel 1
Viola
Für die Urlauber, die das beschauliche
Küstenörtchen überfluteten wie Tsunamiwellen einen Strand bedeutete der Sommer
Erholung, Spaß und Sonnenbrand. Für Viola war er nichts davon. Von Erholung
konnte sie in der Zeit von März bis September nur träumen! Spaßig war es auch
nicht gerade, den Dreck fremder Leute wegzuräumen. Und von der Sonne sah man
kaum einen Fitzel, wenn man täglich im Schweiße seines Angesichts Wohnungen
putzte und nachts zwischen angetrunkenen Feierwütigen Cocktails durch die Bar
balancierte, jedoch niemals selbst die Füße in den Sand stecken und das
Salzwasser spüren konnte.
Allerdings verdiente Viola während dieser Monate
den Großteil ihres jährlichen Einkommens, das sie für sich und Paul, ihren
Jüngsten, dringend brauchte. Er war der letzte ihrer drei Knaben, der noch
nicht auf eigenen Beinen stand und die anderen beiden – nun ja, offiziell
lebten sie in eigenen Behausungen und gingen leidlich bezahlten Jobs nach –
doch tatsächlich steckte Viola ihnen regelmäßig den Großteil ihres in der Bar
verdienten Trinkgelds zu und sie wusch ihnen auch immer noch die Klamotten,
während die Jungs es sich vor ihrer alten Glotze bequem machten und den eh
schon nicht üppigen Kühlschrank ausräuberten.
Viola war ein Mensch, der bewusst darauf achtete, das
Positive zu sehen und selbst im Schlechten nach etwas Gutem zu suchen. Auf
andere Weise kam man noch beschwerlicher durchs Leben als sowieso schon, sagte
sie sich, und da das Schicksal sie nicht gerade mit goldenen Voraussetzungen
gesegnet hatte, als sie im Herbst 1967 zur Welt gekommen war, musste sie sich
die Dinge so einfach wie möglich machen.
Das Gute an ihrer Schufterei und der täglichen
Hetzerei zwischen zwei anstrengenden Jobs war, dass ihr Chef Vincent ihr bei
der Reinigung seiner Ferienwohnungen relativ freie Hand ließ. Er kontrollierte
ihre Arbeit nicht, wie es ein misstrauischer, pingeliger Chef vielleicht getan
hätte, und gab ihr damit das Gefühl, einigermaßen selbstständig zu agieren und
eine Leistung zu erbringen, die wirklich gebraucht wurde. In ihrem Bereich war
sie zweifellos eine Fachkraft, die mit einer klassischen Ausbildung als
Hauswirtschafterin dienen konnte, darauf legte sie Wert. Sie war keine
ungelernte Putzkraft, die man für einen Billiglohn und ohne Anerkennung ihrer
Kompetenz abspeisen konnte! Das Kellnern war erst später dazugekommen und
brachte, da sie es inzwischen ebenfalls routiniert und immer mit einem Lächeln
auf den Lippen tat, ein zusätzliches, höchst erfreuliches Taschengeld ein.
Das war das zweite Gute: Die Jobs während der
Saison waren sicher, denn es gab immer Touristen, die nach Sonne lechzten und
bereit waren, die horrenden Preise für die eher einfachen Ferienbehausungen zu
zahlen, um sich eine Weile wie ein Fisch im Meer fühlen zu können. Sie setzten
ihre Blagen in den Schlamm, drückten ihnen eine Schaufel in die Hand und
streckten sich mit einer Tageszeitung auf dem vollgekrümelten Handtuch aus, bis
ihre Haut trotz Lichtschutzfaktor 50 leuchtete wie ein frisch polierter
Doppeldeckerbus. Sie würden auch im nächsten und übernächsten Jahr wie die Ferienjunkies
in den kleinen Ort strömen, der so viele Personen gar nicht zu fassen vermochte
und aus allen Nähten platzte. Sie würden ihr in klimatisierten Büros sauer
verdientes Geld mit beiden Händen aus dem Fenster werfen und Viola würde
darunter stehen und es – ebenfalls mit beiden Händen – auffangen.
Das dritte Gute war, dass es nie langweilig wurde,
man sich im Ort inzwischen kannte und immer wieder neuen Menschen begegnete.
Soziale Kontakte beugten psychischen Krankheiten vor, so viel wusste Viola aus
den Sendungen, die manchmal im Fernsehen liefen. Da ihre Freizeit spärlich und
sie dann meistens zu müde für Unternehmungen und Treffen war, genoss sie es, im
Rahmen ihrer Berufstätigkeiten regelmäßig mit Menschen zusammenzukommen.
Am besten war allerdings der Umstand, während der
Saison selbst eine Ferienwohnung nutzen zu dürfen. Nicht, dass sie viel
Freizeit gehabt hätte, um diesen Luxus ausgiebig zu genießen, aber es tat gut,
morgens auf den Balkon raus zu treten und in der Ferne zu schauen, ob das
Wasser da war oder ob es sich zurückgezogen hatte, wie es das alle sechs
Stunden tat, und dabei das Salz in der Luft zu riechen. Und immerhin ihre Jungs
genossen die faule Sommerzeit, die viel angenehmer zu verleben war, als die
Monate in ihrem winterlichen Quartier außerhalb der Saison, die sie in einer
lauten und schmutzigen Großstadt in einer winzigen Mietwohnung mit auf eine
Backsteinmauer zeigenden Fenstern verbrachten.
Freilich standen dem ganzen Guten ihre ständigen
Rückenschmerzen gegenüber, eine allumfassende bleierne Müdigkeit, die sie
morgens und abends in den Händen spürte, die das immer schwerer werdende
Tablett hielten, nachdem sie bereits etliche Betten bezogen hatten.
Über all das dachte Viola nach, während sie das Seerose-Appartement
betrat, denn Putzen war eine eintönige Tätigkeit, die gut auf die Beteiligung
des Kopfes verzichten konnte, weshalb dieser für allerlei Denksport zur
Verfügung stand. Große Kreise zog ihr eigenes Hirn nicht, während sie Fliesen
schrubbte und Handtücher wechselte, denn es bewegte sich auf immer denselben
ausgetretenen Pfaden, die ebenso beschränkt waren wie ihre
Entfaltungsmöglichkeiten im Leben. Aber das machte nichts. Viola genoss den
routinierten Ablauf und erfreute sich nachher an der Sauberkeit, bevor sie noch
eine Praline auf das Kissen legte und die Wohnungstür hinter sich zuzog.
Wie immer nahm Viola zuerst wahr, wie es in der
Zweiraumwohnung roch, als sie den winzigen Flur betrat und Schrubber, Eimer und
den Korb mit Putzmitteln, Handschuhen und frischer Wäsche abstellte. Sie
bildete sich ein, sie könne inzwischen riechen, wie lange ein Gast sich in der
Wohnung aufgehalten hatte – ein verlängertes Wochenende roch anders als der
Jahresurlaub. Sie meinte sogar, wahrzunehmen, wie viele Personen ihre nach
Sonnenmilch und Schlick riechenden Körper unter die Bettdecken gesteckt hatten,
und ob es sich um Geschäftsreisende oder eine Familie handelte. (Allerdings war
das nicht zweifelsfrei zu beweisen, dass sie das wirklich vermochte, weil die
Größe der Wohnung und die Anzahl der Betten zum Schummeln verleiteten.) Was sie
noch nicht anhand ihrer Nase erkennen konnte, war die Herkunft der Abgereisten:
Ein Bayer roch genauso wie ein Sachse und ein Italiener ebenso wie ein Däne.
Weder Weißwurst noch Pizza stachen olfaktorisch hervor. Viola dachte darüber
nach, wie jedes Mal, wenn sie eine Wohnung aufsuchte und ein bisschen traurig
wurde, weil ihr selbst aus finanziellen Gründen keine Reise möglich war. Keine
Chance, jemals zu lernen, die Weißwurst von der Pizza durch Schnüffeln zu
unterscheiden, weil sie selbst nie rauskam. Traurige Gedanken zogen trübe
Kreise in ihrem Kopf. Sie schob sie beiseite und griff nach dem Glasreiniger,
um den Spiegel zu putzen.
Viola erkannte nicht gleich, was es war, aber etwas
stimmte nicht. Sie sah sich um und hätte sich im liebsten mit der Hand, die
unter Gummi schwitzte, vor die Stirn geschlagen: Die Wohnung war mitnichten
unbewohnt, obwohl der Gast doch eigentlich spätestens vor einer Stunde hatte
auschecken sollen! Auf dem Badewannenrand befand sich eine geblümte
Kosmetiktasche, deren reichlicher Inhalt den fadenscheinigen Stoff ausbeulte.
Das Handtuch war akkurat über den Heizkörper an der Tür gehängt und lag nicht
auf dem Boden, wie es üblich war. Auf dem Waschbecken prangte ein Kamm, der
zwei, drei graue Haare beherbergte, die sich leicht kräuselten. Daneben eine
Zahnbürste, die unbenutzt zu sein schien, es aber vermutlich nicht war, denn
die Zahnpastatube daneben im Becher war halb leer.
Was war hier los? Hatte sie sich im Appartement
geirrt? Das war nicht unmöglich, manchmal stand ihr der Kopf ganz woanders,
(kein Wunder, wenn die Jungs ihr immer Kummer machten!), aber auch nicht sehr
wahrscheinlich. Sie tat diese Arbeit seit Jahren und kannte ihre Buden besser
als jene, in der sie selbst hauste. Die Person, die hier ihren Urlaub verbracht
hatte, musste ihren Krempel vergessen oder ihre eigentlich fällige Abreise
verpasst haben. Absichtlich? Versehentlich? Hatte sie verschlafen und würde
beim Betreten des Schlafzimmers aus tiefen Träumen hochschrecken, schockiert
darüber, dass sie jemandem Umstände bereitete und ihr Zug ohne sie losgefahren
war?
Fast gleichzeitig mit den sichtbaren
Absonderlichkeiten, die sie verwirrten und auch ein bisschen ängstigten, stieg
ihr dieser Geruch in die Nase, der zu schwach war, um ihn benennen, aber zu
stark, um ihn ignorieren zu können. Violas Bauchgefühl, das sie schon vor so
manchem halbseidenen Gast in der Bar rechtzeitig gewarnt hatte, meldete
eindeutig einen Eindruck von Gefahr. Noch ehe ihre Nase überhaupt begriff, was
los war, und eine mögliche Erklärung lieferte, war ihr Instinkt schon am roten
Knopf angelangt und hatte diesen kräftig gedrückt. Hier stinkt’s. Hier
stinkt’s sogar gewaltig. Es war ein Geruch, den sie noch nie gerochen
hatte, nichts zu essen, ob frisch oder alt, nicht wie ein besudeltes Betttuch,
(von denen ihr viele im Lauf der Zeit begegnet waren), nicht wie eine Müllkippe
oder ein Zimmer, in dem lange nicht mehr gelüftet worden war. Aber alles davon
steckte ein bisschen in dem Geruch – und noch etwas ganz anderes, für das es
keine passenden Worte gab.
Viola schüttelte den Kopf, denn sie war sich nicht
sicher, ob das nicht Einbildung war. Sie war hart im Nehmen. Das musste sie
auch sein, denn manche Leute waren richtige Schweine und hinterließen eine
visuelle und olfaktorische Hölle, wenn sie heimfuhren, ohne jemals an die arme
Reinigungskraft zu denken, die Hände und Nase in ihre Hinterlassenschaften
stecken musste, um sie zu beheben. Deshalb war sie auch nicht leicht aus der
Bahn zu werfen und schon gar nicht von einem Geruch! (Und was ist mit dem
Besitz dieser Person, die nicht mehr hier sein sollte? Ist der auch
Einbildung?)
Viola schüttelte erneut den Kopf, noch unwilliger
als zuvor, und hielt ihren Eimer unter den Wasserhahn in der Wanne. Spritzte
etwas von dem scharfen Reiniger dazu und betrachtete die Seifenblasen, die sich
bildeten. Sofort war der Geruch verschwunden und sie war nicht einmal sicher,
ob er überhaupt da gewesen war.
Sie hatte wenig geschlafen in der Nacht, denn es
tummelte sich eine große Zahl von Menschen in dem Ort und stahl mit ihrer
Vergnügungssucht Viola den Schlaf, weil die Leute auch im Morgengrauen immer
noch johlend und lachend durch die Straßen zogen. Na ja, vielleicht nicht alle,
aber diese Gruppe von Jugendlichen, die auf dem Zeltplatz nicht weit von ihrer
Wohnung untergebracht war, tat es bestimmt. Abgesehen davon, dass es verboten
war, nervte es auch in ganz erheblichem Maße, aber damit musste man wohl leben,
wenn man die Frühlings- und Sommerzeit in einem Ferienort verbrachte.
Als Viola den vollen Eimer aus der Wanne hob,
protestierte knackend und ächzend ihr Rücken. Sie stellte ihn auf den Fliesen
ab, griff mit den Händen hinein, um nach dem Lappen zu fischen und es dauerte
nicht lang, bis sie in ihre gewohnte Routine hineinfand. Über die Jahre hatte
sie den Ablauf ihrer Arbeit perfektioniert: Erst das Bad – Waschbecken, Wanne,
Klo, schrubben, Seife auffüllen, Toilettenpapier nachlegen, den Spiegel polieren
und zum Schluss den Boden wischen. Die Habseligkeiten der fremden Person schob
sie einfach beiseite. Sicherlich war der Plunder vergessen worden und würde
bald nachgeschickt werden müssen. Sie nahm sich vor, Vincent darüber Bescheid
zu geben und schon mal auf der Post einen kleinen Karton zu besorgen. Sehr
wahrscheinlich würde ihr die Aufgabe zufallen, dem vergesslichen Gast
seine Utensilien hinterherzutragen.
In der kleinen Einbauküche legte sie besonderes Augenmerk
auf den Kühlschrank, der musste ausgeräumt, blitzblank geputzt und am Ende mit
frischen Küchentüchern ausgelegt werden. Sie kontrollierte sogar die
Schubladen, die alles Notwendige enthielten, ob sich ein Haar darin verirrt
hatte, (was oft passierte und leicht zu beheben war). Schließlich das
Wohnzimmer, in dem ein bisschen Nippes, klassische maritime Motive, und der
Fernseher zu entstauben und die Kissen aufzuschütteln waren. Saugen und
wischen. Die Fenster kontrollieren und bei Bedarf reinigen.
Na bitte, auch hier sah man überdeutlich, dass sich
vor kurzem noch jemand dort aufgehalten hatte: Zwei Weingläser auf der Anrichte,
eins davon mit Lippenstift beschmiert (Welch schreckliches Klischee!) und
daneben eine halb leere Flasche irgendeines mittelpreisigen Rebengesöffs. Sie
spülte die Gläser, sorgfältig darauf bedacht, alle Spuren zu beseitigen, damit
sich niemand beschwerte. Schüttete den Wein in den Ausguss und steckte die
leere Flasche in den Müllbeutel, den sie entfernte und zuknotete. Die
hellbraune Strickjacke über der Sofalehne packte sie ebenso in ihre Tasche wie
die Sachen im Bad. Auch Pantoffeln fanden sich unter dem Sofa. Wie vergesslich
war dieser Mensch bitteschön? Weiblich vermutlich und wohl ziemlich alt, den
Haaren im Kamm und dem unmodernen Schnitt der Jacke nach zu urteilen, aber das
war keine Entschuldigung dafür, dem Reinigungspersonal so viel zusätzliche
Arbeit zu bescheren! Sie seufzte und sah auf die Uhr, bevor sie weitermachte.
Viola war in ihrem Element, sie arbeitete effizient
und leichtfüßig, spürte nicht einmal mehr ihren Rücken und die Risse in der
Haut auf den Händen, gegen die sie stets erfolglos ancremte. Sie hatte
Kopfhörer auf den Ohren und ließ sich von Beatrice Egli den Arbeitsalltag
versüßen.
Als sie mit den Zimmerecken fertig war, (hier
verirrten sich immer wieder Spinnweben hin und wo Spinnweben waren, ließ auch
Staub nicht lang auf sich warten), hielt sie inne, den Lappen in der Hand und
schon nach der Möbelpolitur greifend. Sie wollte den Kommoden gerade ihre extra
Portion Pflege gönnen, da war er plötzlich wieder da, dieser widerliche Geruch,
der in ihrem Duftrepertoire keine Entsprechung fand. Sie holte tief Luft und
vergaß die Kommoden. Er kam aus dem Schlafzimmer, dieser … Gestank? Dem
einzigen Ort der kleinen Wohnung, den sie noch nicht aufgesucht hatte. Hatte
sie sich bisher davor gedrückt? Es wäre doch ein Leichtes gewesen, eben
nachzuschauen, ob der Gast tatsächlich noch zwischen den Laken lag, weil der
Wecker nicht geklingelt hatte. Aber sie hatte das nicht getan. Weil es eine
Überwindung erforderte, die sie erst in sich sammeln musste?
Viola hielt inne. Ihr fiel nun wieder ein, woran der
Geruch sie erinnerte. Sie hatte so etwas in der Art doch schon einmal gerochen:
Es verströmte die gleichen Ausdünstungen wie die tote Maus, die Minki, ihre
Katze, ihr einmal in die Gartenschuhe gelegt hatte. Da es ein paar Tage
geregnet und Viola so lange den Garten nicht betreten hatte, war die Maus erst
nach einer gewissen Zeit gefunden worden. Das war lang her! Ihr Ex-Mann, der in
besseren Zeiten an ihrer Seite gewesen war und sich um solche Dinge gesorgt
hatte, kümmerte sich um das unappetitliche Geschenk und damit war es gut
gewesen. Aber jetzt war nichts gut, denn dieser Tote-Maus-Geruch
definierte sich als ein Problem. Man durfte, dachte Viola, ihn eigentlich nicht
einmal Geruch nennen, denn für ein solch harmloses Wort war die
Erscheinung plötzlich zu widerwärtig und zu grässlich. Sie versammelte alle
Ängste in sich, die ein Mensch überhaupt je haben konnte und fabrizierte davon
ein unerträgliches Potpourri, das ihre Nase strikt ablehnte. Doch es half
nichts. Wenn sie Klarheit haben wollte, musste sie es schaffen, die Tür zu
öffnen und die Sache zu überprüfen.
Viola wollte nachschauen gehen, es waren nur vier
Schritte bis zur geschlossenen Tür. Doch sie stand wie festgewurzelt und
spürte, wie ihre Schweißdrüsen unter den Achseln zur Hochform aufliefen. Was
würde sie erwarten, wenn sie das Schlafzimmer betrat? Ein Flattern in ihrer
Brust erschwerte ihr das Atmen, das bis eben noch reibungslos geklappt hatte.
Würde auf dem Bett etwas anderes zu finden sein als die Flecken menschlicher
Körperflüssigkeiten, die sie üblicherweise mit einem verständnislosen
Kopfschütteln beseitigte, bevor sie das Bett neu bezog, ohne weiter darüber
nachzudenken? Und was um Himmelswillen sollte das sein? Blut?
Wenn sie es recht bedachte, mischte sich nun auch
ein metallischer Hauch in diesen Tote-Maus-Geruch. Die ersten Anflüge von
Übelkeit regten sich in ihrem Inneren. Was sollte sie tun? Einfach abhauen und
die Polizei anrufen? Oder ihren Chef Vincent? Was, wenn da gar nichts war und
die Polizisten sie sich über ihre Hysterie lustig machten? Oder wenn Vincent
sauer wurde, weil sie ohne Grund die Pferde scheu machte, sich womöglich
Gerüchte entwickelten, die seinem Geschäft schaden konnten? Sie war auf diesen Job
angewiesen, denn einen anderen würde sie kaum bekommen! In den Augen des
Arbeitsmarktes war sie alt wie Methusalem und sie hatte kaputte Bandscheiben.
Und selbst, wenn sie etwas Neues bekam, dann sicher nicht vergleichsweise so
gut bezahlt! In dem Fall wäre außerdem auch die Bar Geschichte, denn die
gehörte ebenfalls Vincent, und er war bestimmt nicht erfreut, wenn eine seiner
besten Kellnerinnen durchdrehte und die Gäste verunsicherte. Andererseits
konnte er auch nicht begeistert sein, wenn sich etwas … Unaussprechliches… in
einem seiner Betten befand, das stinkend und saftend die geblümte Bettwäsche
und die fast neue Matratze besudelte …
Viola beschloss, zur Sicherheit nachzuschauen, um
nicht blinden Alarm zu schlagen und damit die Wut der Beamten und ihres Bosses
auf sich zu ziehen. Sie straffte die Schultern und nahm alles an Mut zusammen,
was sie in ihrem Herzen finden konnte. Vier Schritte. Das schaffte sie doch
wohl! Die Hand auf die Klinke legen. Sie runterdrücken, ziehen. Das war
einfach. Menschen taten es millionenfach jeden Tag! Viola tat es auch.
Fünf Sekunden später wünschte sie sich, sie hätte
es gelassen. Ihr bot sich ein Anblick, der sich nie wieder aus ihren
Erinnerungen tilgen ließ und von nun an jede Nacht über sie hereinstürzte,
sobald sie die Augen schloss. Die tote Maus war gar nichts dagegen gewesen! Und
es gab auch keinen Ex-Mann, der sie von den Bildern in ihrem Kopf befreien
konnte, wie er vor vielen Jahren den verwesenden Mauskadaver in der Tonne
entsorgt hatte.
(...)
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