Von Zeit zu Zeit besuche ich die Sehenswürdigkeiten meiner Geburtsstadt Eisenach und frische sowohl mein Wissen über die Stadtgeschichte als auch meine eigenen Erinnerungen etwas auf.
So auch an diesem Tag, den ich mit meiner Familie im Bachhaus verbrachte.
Ich sitze nach der Führung und Vorführung der Instrumente in einem der Hängesessel im Museum, Kopfhörer auf den Ohren, eine Bachkomposition erkklingt.
Ich lehne mich zurück, angenehm träge und von der vertrauten Musik eingelullt. Schließe die Augen, hänge meinen Gedanken nach. Hier war Bach geboren worden...
Ich sehe den kleinen Johann Sebastian vor mir, in der hölzernen Wiege, die in der niedrigen Stube zwischen den Balken steht, die ich gerade noch durchschritten habe. Sehe, wie sein kleiner Kopf in der dämmrigen Schwüle der Georgenkirche vom Weihwasser benetzt wird... Sehe ihn an der Orgel sitzen, die Stirn konzentriert in Falten gelegt, die Perücke feucht von der Anstrengung, den Federkiel in seiner Hand...
Warum, fragte ich mich in jenem Moment, hat noch niemand darüber geschrieben?
Nicht nur über Bach, sondern über all das Wunderbare und Einmalige, das in dieser Stadt geschehen ist? Die Flucht Luthers auf die Wartburg und seine Bibelübersetzung, die Brände, die Zeit der Heiligen Elisabethm die Pestepidemien, die Pulverexplosion durch Napoleons Truppen, die Besuche berühmter Menschen wie Richard Wagner, Johann Wolfgang von Goethe und noch vielen mehr? Dieser Schauplatz, der quer durch alle Jahrhunderte eine Rolle spielte, bietet sich ja geradezu an, eine historische Geschichte daraus zu spinnen! Wir EisenacherInnen bekamen die Geschichte ja mit der Muttermilch verabreicht und sind irgendwie ein Teil von ihr. Aber aus allen Teilen der Welt strömen Menschen nach Eisenach, um sich mit der denkwürdigen Historie zu beschäftigen, die so vielfältig und schillernd wie kaum eine andere ist!
Gut, dachte ich, wenn es noch keinen solchen Roman gibt, dann schreibe ICH ihn eben! Allerdings wollte ich keinen Historienroman - die LESE ich nicht mal sonderlich gern und deshalb reizte es mich nicht, einfach nur Fakten an Fakten zu reihen. Ich wollte das Gestern im Heute, das Fantastische, das aus seiner eigenen Welt heraus- und in unsere aktuelle Welt hineinrückt. Ich wollte eine Hauptfigur, die zaudert und leidet, wächst und sich entwickelt.
Ich wollte die Geschichte einer Frau, die am Abgrund steht und Heilung erfährt, indem sie ihre Heimat und ihren Platz in der Welt findet.
Und so fand ich zu Hanna. Hanna, die mit ihrer Familie und sich selbst uneins ist. Hanna, die sich unterbuttern lässt und sich weder privat noch beruflich erfüllt fühlt. Hanna, die zaudert und zweifelt, statt sich mutig auf den Weg zu machen, ihre eigenen Zielen zu erreichen. Dabei hilft ihr nun Fredi, indem er sie in ihre inneren Seelenwelten entführt, in denen ein Auftrag auf sie wartet, der ganz neue Wege vorgibt.
An dem Buch habe ich lang geschrieben, weil jede Zeitreise akribisch recherchiert wurde und sich so eng wie möglich an die Fakten, soweit bekannt, hält. Ich habe während der Arbeit an diesem Buch meine eigene Vergangenheit in dieser Stadt noch einmal Revue passieren lassen und auch meine widersprüchliche, schmerzhafte Erfahrung, plötzlich ohne Heimatland dazustehen und mich in einer neuen, völlig unbekannten Welt zurechtfinden zu müssen, eingebracht.
Alles in allem ist es nicht nur die Geschichte eine Stadt, sondern vor allem die Geschichte einer Frau, die ihren eigenen Weg und sich selbst sucht und dabei noch eine Menge mehr findet, als sie ursprünglich geplant hatte: Berufliche Erfüllung, Selbstverwirklichung, einen Zugang zu den eigenen Träumen und Wünschen.
Fredi, den klugen, witzigen Gesellen mit seinem großen Herzen und dem scharfen Verstand, gibt es übrigens wirklich. Ich habe ihn als kleines Mädchen von meinen Eltern bekommen. Ob er mich allerdings wirklich des nachts entführt, um auf Zeitreisen zu gehen, kann ich dir leider nicht verraten!