Donnerstag, 5. November 2020

Du wirst vermutlich nie ein Bestsellerautor werden! - Warum du trotzdem schreiben solltest

Aus der Autorenwerkstatt

Monatelang im einsamen Stübchen am Rechner sitzen und tippen... Das Essen und Trinken und Schlafen vergessen... Den Kopf voller Träume und eine schillernde Perlenkette von Worten um das Herz, die kein Ende zu nehmen scheint... 

Du steckst Leidenschaft, Zeit, Energie und Mühe in dein Werk und irgenwann kannst du dir stolz auf die Schulter klopfen: Du hältst es in den Händen, deine Träume im Kopf und deine Worte im Herzen sind zu Papier geworden, über das deine Finger streichen, während du nicht weißt, ob du lächeln oder eine Träne vergießen sollst, weil ein fertiges Buch wunderbar und ein Abschied zugleich ist.

Okay, eine sehr romantisierte Vorstellung vom Schriftstellerdasein, ich geb es zu! 

Aber träumen nicht alle, die schreiben, vom großen Durchbruch? Vom eigenen Liebling, liebevoll im Schaufenster der Buchhandlungen dieses Landes in Szene gesetzt? Hochgelobt vom Leserpublikum und ernsthaft besprochen von der Literaturelite, die vor Staunen die Münder und Augen aufreißt und ganz und gar zu kritisieren vergisst?

Na klar! Manch Einer gibt es zu und ein Anderer nicht, womöglich nicht einmal vor sich selbst. Aber diesen Traum kennen viele, die schreiben - er ist das Ziel aller Wünsche, der Endgegner, das Paradies mit ihren ewigen Verheißungen.

Die Realität sieht jedoch anders aus. 

Egal, wie sehr du dich abstrampelst: Du bleibst im Schatten, wo du nicht gesehen wirst. Nur Wenige hören es, wenn sich deine erzählende Stimme erhebt und deine frisch gedruckten Bücher bleiben jungfräulich rein, weil kaum jemand sie zur Hand nimmt, um zärtlich ein kleines Eselsohr hineinzuknicken. Vielleicht hast du das Zeug dazu, ein berühmter Autor zu werden, der vom Schreiben gut leben kann, vielleicht auch nicht. Vielleicht hast du das Zeug dazu, aber aufgrund der Umstände - wenig Geld, wenige zweckdienliche Beziehungen, wenig Reichweite - nützt dir das nichts und du bleibst trotzdem ein kleiner Schreiberling, der vor sich hindümpelt und jeden seiner Fans noch persönlich kennt. Die Chancen, aufzusteigen und explosionsartig den Schriftstellerhimmel zu erhellen, sind statistisch gering, jedenfalls so lange, bis ein beliebter Promi dein Buch in eine Fernsehkamera hält. Eine Möglichkeit, die auch sehr wahrscheinlich nicht eintreten wird. 

(Vielleicht bist du auch ein Beststellerautor oder auf dem Weg dahin, aber dann brauchst du diesen Artikel nicht zu lesen, es sei denn zur Unterhaltung.)

Für viele Andere gilt: Allein bist du damit jedenfalls nicht. Weit mehr als die Hälfte aller AutorInnen kann mit den Büchern nicht mal ansatzweise einen vernünftigen Lebensstandard errreichen und nicht wenige legen sogar noch drauf, weil es Geld kostet, etwas qualitativ Hochwertiges zu produzieren, und weil die Gewinne die investierten Beträge manchmal nicht ausgleichen.

Was die meisten Leute nicht wissen und was oft für Verwunderung sorgt, ist die Tatsache, dass ein Autor in der Regel nur einen sehr geringen Betrag pro verkauftem Buch ausgezahlt bekommt. Man muss schon Unmengen davon verkaufen, damit diese Beträge überhaupt ins Gewicht fallen. Den Rest stecken sich Verlage, Dienstleister und der Handel ein. 

Ob du als Selfpublisher alles allein machen (und bezahlen) musst und sich das nicht zu lohnen scheint oder ob dein Verlag dir nur ein mickriges Honorar zahlt, ob deine Verkäufe dir die Tränen in die Augen treiben oder du dich wie der letzte schreibende Vollidiot fühlst:

Du solltest mit dem Schreiben trotzdem nicht aufhören!

Wie jeder Angehörige der schreibenden Zunft habe auch ich mir im Laufe meiner literarischen Entwicklung Gedanken zu dieser Frage gemacht, wenn die Zweifel überhandnahmen und die positiven Effekte dieser Tätigkeit zu überwiegen schienen. 

Falls es dir auch manchmal so geht: Ich liste dir heute ein paar Gründe auf, warum du trotz enttäuschter Erwartungen, fehlender Gewinne und nicht erreichter Erfolge unbedingt weiterschreiben solltest. Lies sie, wenn dich mal wieder das Zaudern und Zweifeln packt und erfreue dich an allem, was die Literatur dir zu schenken hat!

Ein paar Gründe, um weiterzuschreiben:

1. Erfolg und Geld sind nicht das Maß aller Dinge

...sagt der Bohème, der selbst nichts von Wert auf die Reihe kriegt und die Trauben zu sauer finden muss, die er nicht erreichen kann! 

Aber ja, und er sagt es deshalb, weil es einfach stimmt!

Eine weitverbreitete Ansicht, die so manchen Künstler in die Knie zwingt und dafür sorgt, dass sich immer mehr Individuen bis zur Groteske anpassen, verbiegen und selbst verleugnen! Oder gleich ganz aufgeben, sich in die öden Strukturen des Arbeitsmarkts einfügen und Dienst nach Vorschrift leisten, ohne den kleinsten Hauch Kreativität. Ihrer Kunst - welcher Art auch immer - den Rücken kehren und sich mit handfesteren Dingen beschäftigen, dabei aber leiden und unglücklich oder krank werden. 

Aber es ist nur eine Seite einer Medaille! 

Die andere Seite zeigt ein anderes Bild: Immer schon gab es Idealisten, Aussteiger, Menschen, die mit Chuzpe und Charme ihr eigenes Ding durchgezogen haben und dabei nicht einmal unglücklich waren, weil ihnen Luxus, oberflächliche Unterhaltung und die Lobhudeleien der Elite versagt blieben. Weil es eben doch auch noch andere Werte im Leben gibt! Etwa Schöpferkraft und Verbindung zur Natur, Ästhetik, Kunst und Kultur, Schönheit und Wahrheit, Zwischenmenschlichkeit und Mitgefühl. 

Mir scheint, mehr und mehr Menschen überlegen ganz genau, welche Werte und Prinzipien sie in ihrem Leben und für ihr Fühlen, Denken und Handeln als Grundlage wählen wollen. Dabei schneidet der klingende Taler nicht immer gut ab! Im Gegenteil - es dürfte in der Zukunft zu einer Abkehr von ausschließlich monetären Aspekten kommen und andere Werte werden sich mehr Raum erobern. Deshalb ist es weder naiv noch bescheuert, sich selbst als Botschafter einer neuen Zeit zu verstehen. Das ist, was Kunst unter anderem auch kann.

2. Schreiben ist einfach geil.

Schreiben ist wie intellektuelles Bungeejumping! Es ist ein Abenteuer, bei dem du ständig etwas Neues erlebst und Erfahrungen machst, die über einen "gewöhnlichen" Lebenshorizont hinausgehen. Neben deinem Selbstbild erweiterst du als Autor auch deine Erlebniswelt: Du kannst alles sein, alles werden, alles ausprobieren - und zwar zu Hause am Schreibtisch! Wenn das mal nicht großartig ist, dann weiß ich es auch nicht!

3. Du schärfst deine Beobachtungsgabe und deine Aufmerksamkeit.

Zwangsläufig tust du das, denn sonst könntest du kaum über die Dinge erzählen. Schreibende Menschen nehmen Details wahr, die Andere übersehen. Damit sammeln sie nicht nur Rüstzeug für ihre Texte, sondern tun auch ihrer seelischen und körperlichen Gesundheit etwas Gutes, weil Achtsamkeit Ruhe und Erholung ins Leben bringt.

4. Du machst mindestens einen Menschen glücklich.

Nämlich dich selbst, weil du tust, wofür du gemacht bist! Es ist aber höchst wahrscheinlich, dass sich andere Menschen von deiner Arbeit angezogen fühlen werden. Wenn du einmal die Nachricht, dein Buch habe ein Herz erfüllt, erhältst, dann weißt du, was ich meine! Vielleicht ist es ein Mensch, vielleicht sind es zehn, vielleicht hundert... Lohnt es sich nicht schon für diesen einen? 

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Rezensentin habe ich schon einige Autoren und Autorinnen kennenlernen dürfen, deren Bücher MICH glücklich gemacht haben. Egal, wie erfolgreich sie sich nach konventionellen Definitionen auf dem Markt positionieren können: ICH bin sehr glücklich darüber, dass sie schreiben! Zudem liefern sie mir immer wieder aufs Neue den Beweis, dass die Qualität eines Textes nicht notwendigerweise mit seinem Echo im Haifischbecken Buchbranche konform gehen muss.

5. Deine Eloquenz wird rekordverdächtig geschliffen.

Naja, vielleicht nicht ganz, aber ganz sicher wirst du an mündlicher und schriftlicher Ausdrucksfähigkeit dazulernen. Dein Stil wird klarer, dein Ausdruck treffender! Bücher sind aufgrund ihrer komplexen Struktur die Königsdisziplin beim Schreiben. 

Nachdem ich in jungen Jahren mein erstes Buch fertiggestellt hatte, war meine Überzeugung, wenn ich DAS geschafft habe, wuppe ich auch jeden anderen Text. (Unabhängig von der Publikation übrigens! Es zählte, dass ein Buch geschrieben war.) In der Tat habe ich schon unzählige Arten von Texten verfasst: Zeitschriftenartikel, Reportagen, Marketingtexte, Pressemitteilungen, parlamentarische Initiativen für den Landtag, Aufsätze, wissenschaftliche Essays und viele mehr. Keiner ließ mich verzweifeln, weil der höchste Berg - ein ganzes, fertiges Buch - bereits hinter mir lag. 

6. Du kannst dich vernetzen.

Wenn du willst und dich darum bemühst, führt deine schriftstellerische Tätigkeit zu intensiven Begegnungen mit Gleichgesinnten. Super, um mehr zu lernen, neue Ideen zu entwickeln und Rückenwind zu bekommen!

7. Deine Kommunikationsfähigkeit und dein Einfühlungsvermögen nehmen zu.

Das tun sie, weil du dich ja auch in deine Figuren hineindenken und -fühlen musst, um sie glaubwürdig darzustellen, und weil du anfangen wirst, die Welt um dich herum genauer zu beobachten. Du wirst fragen oder selbst herauskriegen, was Motivationen von Menschen sind, wie sie sich verhalten, was sie sagen, welche Körpersprache sie zeigen und tausend Dinge mehr! Dir werden Stimmungen und Emotionen vertraut, die du von dir selbst vielleicht nicht kennst. Du erweiterst deine gesamte Persönlichkeit um wertvolle Aspekte, die dir auch im Alltag weiterhelfen.

8. Du kultivierst berufsrelevante Fähigkeiten.

Diszipliniert weitermachen, obwohl du keine Lust hast? Dein Ziel im Blick behalten und fokussiert verfolgen? Durstrecken aushalten, ohne die Motivation zu verlieren? Etwas bis zum manchmal bitteren Ende durchziehen? Improvisieren, wenn du in eine Sackgasse gelangst? 

All das sind Meisterqualitäten von allen, die es geschafft haben, ein Manuskript zu beenden. Und sie sind auch in fast jedem Job Gold wert! Was du beim Schreiben lernst, kannst du beruflich und privat auch in anderen Bereichen nutzen, sowohl was deine Soft Skills, als auch was dein Wissen angeht.

9. Du lernst, strukturiert zu arbeiten und dich zu organisieren.

Ganz sicher wirst du das, weil du ohne Struktur in deinem Buchchaos versinken und niemals fertigwerden würdest. Wer einen komplizierten Plot aufräumt, der schafft das auch im eigenen Leben und Arbeiten.

10. Deine Kreativität und Fantasie erreichen ungeahnte Höhen.

Es liegt natürlich an dir selbst, wie tief du in deine imaginäre Welt eintauchst und was du aus ihr mitnimmst. Fakt ist aber, dass jede Nutzung der Vorstellungskraft sie erweitert. Und diese Erweiterung ist durch keinerlei Grenzen eingeschränkt. 

11. Du wirst stolzer und selbstbewusster.

Selbstredend! Du hast etwas geschaffen und du hast etwas geschafft! Ob gut oder nicht, ob erfolgreich oder ein Nischenprodukt, ob versilbert, vergoldet oder ganz und gar nackt: Vergiss nicht, dass etliche Menschen den Traum vom Buch eben nicht realisieren. Du aber schon - und dafür brauchst du eine Menge Fähigkeiten wie die bereits genannten, die du dann offensichtlich ja alle besitzen musst! Das ist ein absolut ausreichender Grund, um den Kopf zu heben und der Welt zu zeigen, wer du bist!

12. Du rettest die Welt.

Natürlich nur in einem ganz winzigen Rahmen. Aber du bringst etwas in die Welt, das ihr guttut und sie bereichert. Das kann nicht jeder Mensch von sich sagen! Andere Menschen tun Gutes in anderen Bereichen, sie kümmern und sorgen sich, pflegen, schützen und engagieren sich. Dies kann DEIN Beitrag sein, die Welt ein bisschen besser zu machen.

13. Du kannst nicht anders.

Dir wurde, wie es aussieht, ein Talent in die Wiege gelegt (sonst hättest du nicht den Drang, es auszuleben) und jedes Talent will genutzt sein. Natürlich musst du aus deinen Fähigkeiten nicht das Beste machen, es gibt keine rechtliche, moralische oder sonstige Verpflichtung. Aber du wirst es deutlich spüren, wenn du gegen deine Natur lebst und dann kannst du nur heil und ganz werden, wenn du deinem Talent Raum gibst, um sich zu entfalten. Lass dich dabei nicht entmutigen oder irritieren von anderen Einstellungen, wenn du deine eigene als richtig empfindest.

Jeder Tag, an dem du dich schlafen legst mit dem Gedanken: Heute habe ich etwas getan, was mich erfüllt hat und mir entsprach, wird ein guter Tag gewesen sein. 

Fazit:

Du siehst, unabhängig von der Resonanz auf dein veröffentlichtes (oder zu schreibendes) Werk gibt es eine Menge Gründe, die das Schreiben zu einer wunderbaren Tätigkeit machen! 

Bleib dran und lass dich nicht beirren, falls jemand dir reinredet oder dein eigener innerer Kritiker eine wüste Anti-Rumba zu tanzen beginnt! Schreiben ist geil! Schreiben macht Sinn! Schreiben hat viele Geschenke für dich im Gepäck! Bleib dabei, wenn du magst. Selbst wenn du am Ende selbst das Eselsohr in deine Seiten setzen musst, damit dein Buch gelesen aussieht!