Mittwoch, 9. Oktober 2019

Warum das Schulfach "Glück" dringend nötig ist

Wie oft hört man von Schülern die gestöhnte Aussage: „Herrgott, wofür brauch ich das eigentlich alles später einmal?“ und ehrlich gesagt, haben sie damit gar nicht so unrecht.

Natürlich sollte ein Schulabgänger einen fehlerfreien Brief verfassen können, Prozentrechnung beherrschen und sich auf Englisch leidlich verständigen können. 
Genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger, ist jedoch die charakterliche Entwicklung: 

Wer bin ich und was sind meine Stärken? 
Wo will ich hin im Leben? 
Was sind meine Werte, Ziele, Träume? 
Wie löse ich ein Problem, wenn eines auftritt? 
Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um? 
Wie kann ich mich entspannen, wenn ich gestresst bin? 
Wie wäge ich Entscheidungen ab? 
Worauf lege ich meinen Fokus, wenn es um meine Lebensgestaltung geht? 

Am Rande dieser Fragen befinden sich weitere Aspekte von Meditation und gesunder Ernährung bis hin zu Selbst- und Zeitmanagement oder einer vernünftigen Streitkultur. 

Während wir die Integralrechnung und Goethes „Faust“ an deutschen Schulen vermitteln, bleiben Bereiche wie die genannten jedoch völlig brachliegen. Sie sind im Lehrplan nirgends verankert, weil sie keine Rolle zu spielen scheinen. Die persönliche Entwicklung der jungen Menschen bleibt auf Seiten der Familie verankert und ist für die schulische Karriere irrelevant.

Doch wo, wenn nicht in der Schule könnten Kinder Fähigkeiten wie Mitgefühl, Selbstbewusstsein, Entscheidungsfähigkeit und Durchhaltevermögen lernen? Eltern können ihrem Nachwuchs häufig kein gutes Vorbild sein, weil sie diese Dinge oft selbst nicht beherrschen. Es wäre ein gangbarer Weg, deutsche Schulen umzustrukturieren, indem Unsinniges und Unbrauchbares aus den Lehrplänen gestrichen und die persönliche Entwicklung dafür aufgenommen würden. Gern mit wissenschaftlich-akademischem Unterbau und praktisch umsetzbaren Handlungsanweisungen!

Der ehemalige Schuldirektor Ernst Fritz-Schubert hat dies an seiner Schule in Heidelberg im Jahr 2007 getan. In den letzten Jahren sind ihm viele Schulen in mehreren Bundesländern gefolgt. Pädagogen schauen über ihren Tellerrand und bringen das Zwischenmenschliche und Persönliche in ihre Arbeit ein: Sie helfen Kindern und Jugendlichen, sich im Leben zu orientieren. Sie schaffen Vorbilder, zeigen Wege auf und stärken die jungen Seelen, die sich so nicht nur selbst besser kennenlernen, sondern auch die Freude an der Schule auf ihre Weise entdecken. Konflikte können entschärft und Beziehungen gestärkt werden. 

Inzwischen gibt es längst Studien, die bestätigen, wie erfolgreich der Ansatz ist, die Lebenskompetenz von Schülern zu verbessern: Sie sind offener, ausgeglichener und mitfühlender. 

Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden gesellschaftlichen Verrohung in den nachfolgenden Generationen werden positive Gefühle umso wichtiger: Wer glücklich und zufrieden ist, neigt nicht zu Gewalt oder Herabsetzung Anderer. Wer seinen eigenen Weg kennt und zielstrebig verfolgt, hat keinen Grund, sich zu verweigern oder Stress zu provozieren. 

Offenheit, Verständnis, Selbstvertrauen und innere Stabilität können erlernt werden. Und zwar lange, bevor verzweifelt nach Sozialpädagogen und Therapeuten gerufen wird, weil die Schulen mit überforderten Burnout-Kindern oder sozial unverträglichen Verweigerern überflutet werden. 

Die Zahl der psychiatrischen Störungen bei Kindern hat zweifellos zugenommen. Eine durchschnittliche Klassenliste heutzutage liest sich wie der Index aus dem ICD-10 Kategorie F, es sind nahezu alle Bereiche aus den kinder- und jugendpsychiatrischen Störungen sowie den Entwicklungsstörungen abgedeckt. Eltern und Lehrer kriegen die Auswirkungen tagtäglich zu spüren, ohne dass eine Möglichkeit bestünde, diese Entwicklung einzudämmen.

Bitte sehr, liebe Entscheidungsträger: Hier ist eine Möglichkeit! Etabliert das Schulfach „Glück“ nach dem Heidelberger Vorbild in den Curricula aller Schulformen und die Lage wird sich deutlich entspannen! Orientiert euch an dem Plan, jungen Menschen den Weg ins Leben zu erleichtern, statt Rektoren, Lehrern und Schülern eure reaktionären Vorstellungen, wie eine "richtige Schule" zu sein hat, weiter (an der Realität vorbei) aufzuzwingen. Schult die Lehrer und schulischen Mitarbeiter, sodass sie dazu in die Lage versetzt werden, Glück zu lehren! Ein angenehmer Nebeneffekt ist dabei, dass auch die Lehrer dabei wie von selbst ein bisschen glücklicher werden. Denn - oh, Wunder! - auch unter den Lehrern haben die psychischen Erkrankungen zugenommen. Und wer einmal ganz genau hinschaut, was in den Schulen los ist, der versteht sehr schnell, warum!
Zumindest für eine ernsthafte Debatte zum Thema ist es höchste Eisenbahn! Die Schulen von heute steuern nicht auf einen Abgrund zu - sie stehen schon mit beiden Beinen im Loch, und zwar mindestens bis zu den Hüften!