Dienstag, 12. Mai 2020

Warum NICHT ICH die Blumen verdient habe - Über Mentoren und Unterstützer

Kürzlich stand ein Mann vor unserer Haustür, der hinter dem riesigen Blumenstrauß, den er in den Händen hielt, fast verschwand. Ich wunderte mich sehr! Wann bekommt man schonmal Blumen geliefert? Und dann auch noch in Wagenradgröße? Das Geheimnis war mit einem Blick auf die beiliegende Karte schnell gelöst - und rührte mich tatsächlich fast zu Tränen.

Die Karte mit Glückwünschen zum neuen Buch kam von meiner ehemaligen Deutschlehrerin im fernen Eisenach!

Über zwanzig Jahre ist es her, dass sie mir Goethe, Hesse und Rilke vermittelt, die Fehler in meinen Aufsätzen angestrichen und mit Rotstift ihre Noten unter meine Arbeiten geschrieben hat. Und sie hat mich doch nicht vergessen! Aber das Rührendste an der Geschichte ist nicht, dass diese resolute, warmherzige und fähige Frau, die inzwischen längst in Rente ist, so stolz auf mein Wirken als Autorin ist. Das wirklich Rührende ist, dass ich ohne sie niemals da stehen würde, wo ich heute bin!

Damals in der Schule war sie Diejenige, die mich nicht nur alles über Literatur, Wörter und Texte lehrte, was sie selbst wusste, mir die Klassiker nahebrachte und mich in meiner eigenen Ausdrucksfähigkeit wachsen ließ. Sie wurde auch nie müde, mir immer wieder zu sagen und zu zeigen, wie erstaunlich sie mein Talent und meine Liebe zum Schreiben fand. Dieses positive Urteil prägte sich in mein Herz ein und half mir all die Jahre auch über Durststrecken hinweg. Denn ich wusste immer: Da ist jemand, sogar jemand vom Fach, der glaubt an dich!

Irgendwann war mir die Gewissheit, zum Schreiben geboren zu sein, in Fleisch und Blut übergegangen, sie hat mich menschlich und literarisch verändert. Wenn ich heute schreibe, dann mit der festen Überzeugung, dass meine Arbeit genauso ist, wie sie sein soll, dass ich mit ihr mein Bestes gebe und der Literatur einen guten Dienst erweise. Und daran hat meine alte Mentorin einen großen Anteil: Wer weiß, vielleicht hätte ich nie ernsthaft geschrieben, wenn meine Deutschlehrerin nicht gewesen wäre?

Im Lauf der vergangenen Jahre und Jahrzehnte hatte ich etliche Mentoren:

Wunderbare Dozenten und Professoren von der Universität Oldenburg, toughe Vorgesetzte oder ältere Verwandte zum Beispiel. Menschen, die Vertrauen in meine Fähigkeiten hatten, mich über Grenzen schickten, mir Neues beibrachten und mich in verschiedener Hinsicht wachsen ließen. Über jeden dieser Menschen würde ich am liebsten einen eigenen Beitrag schreiben, weil ich so dankbar über diese Begegnungen  und Begleitungen bin. Aber dieser Blumenstrauß, der mich gerade rosa und lila und violett anlacht, der stammt von der ersten Mentorin meines Lebens überhaupt - Und wie könnten je Worte ermessen, wie wichtig so jemand für einen Menschen ist?

Mentoren haben viele Geschenke dabei: Sie teilen ihr Wissen und Können. Sie entdecken und fördern Talent. Sie trösten und bauen das Selbstbewusstsein auf. Sie analysieren Fehler und helfen, etwas besser zu machen und dazuzulernen. Sie prägen eine Persönlichkeit auf jede nur erdenkliche Weise. Und das tun sie nur aus einem einzigen Grund: Weil sie an jemanden glauben. 

Ich schließe heute mit einem großen Danke und einer Umarmung. Beides kommt aus der Ferne und von Herzen. Über die Blumen freue ich mich natürlich sehr, aber wirklich verdient hat sie die Frau, die sie geschickt hat.

Allen Leserinnen und Lesern lege ich ans Herz: Sucht euch Menschen, die euch etwas beibringen und euch fördern können. Ihr werdet eines Tages sehr dankbar für jede dieser Begleitungen sein. Und habt den Mut, Fragen zu stellen, Dinge wissen zu wollen, gesehen zu werden. Auch, Fehler zu machen, etwas auszuprobieren, gern mit eurem Mentor im Rücken. Nur so könnt ihr der Mensch sein, der tatsächlich in euch steckt! Und wer weiß: Eines Tages seid ihr vielleicht selbst ein Mentor für jemanden, der eure Erfahrung und euer Wissen bewundert und von euch lernen möchte.