Donnerstag, 3. September 2020

Das Buch und ich - eine immerwährende Liebe

Aus der Autorenwerkstatt

Das Klischee stimmt: Ich konnte bereits vor der Einschulung lesen und das erste, was ich am Anfang eines jeden Grundschuljahres tat, war, das neue Lesebuch von Anfang bis Ende einmal durchzuackern, was dazu führte, dass ich mich im laufenden Schuljahr ein bisschen langweilte und demzufolge noch mehr lesen musste, um meinen gierigen Geist zu füttern.

Nein, ich muss früher beginnen: Vielleicht war in meinem Möhrchenbrei, den ich mit Verve und Eigensinn durch die Küche spuckte, eine Art Mikrochip versteckt, den außerirdische Büchermonster zu Experimentierzwecken dort installierten! Den Chip hab ich geschluckt, zweifelsohne. Aus Versehen? Gelenkt durch eine höhere Macht? Absichtlich geleitet von meinem weisen Ich, das bereits wusste, was gut für mich sein würde? Man weiß es nicht. Vielleicht hatte meine Mutter auch durch irgendeinen absurden Zufall eine kleine Schreibmaschine im Bauch, auf der ich probeweise mal an bisschen herumhämmerte, während ich behaglich im Fruchtwasser trieb?

Wie auch immer: Ich kann mich an keinen bewussten Augenblick meines Lebens erinnern, in dem ich Bücher nicht von Herzen liebte!

Meine Eltern lasen uns Kindern vor: Allabendlich war es ein vertrautes Ritual, unter der am Ofen gewärmten Bettdecke zu liegen und sich von Papa vorlesen zu lassen. Wir tauchten in die Traumwelten seiner eigenen Kinderbücher rund um "Birliban", "Zwiebelchen" und andere DDR-Klassiker ein. Aber das genügte nicht, es musste mehr her - meine Neugier auf die Welt und auf die Geschichten war unersättlich. 

War mein Vater auf Dienstreise, brachte er mir jedes Mal ein "Trompeterbuch" für meine Sammlung mit. Ich las im Bett und auf dem Sofa, im Sitzen am Schreibtisch, im Stehen am Fenster, drinnen und draußen, beim Essen und in der Schule unter der Bank. Ich las alles, was ich in die Finger bekam und wurde tatkräftig vom Elternhaus und der Grundschule gefördert, indem mir immer neue Lektüren bereitgestellt wurden.

Das reichte mir aber immer noch nicht! Wenn meine Eltern morgens aus dem Haus gegangen waren, griff ich als Neunjährige zum reich bestückten Regal und zog mir einen der dicken Klopper heraus, um mir die Zeit bis zum Schulbeginn zu vertreiben. Ich weiß noch, dass Hans Fallada darunter war, der mich mit einer Geschichte über eine Frau, die ihren Ehering verlor und sich dann in die Hand hackte, um den Verlust vor ihrem Ehemann zu verbergen, schockierte und gleichzeitig maßlos faszinierte. Die Welt der Literatur schenkte mir viele weitere Leben neben meinem eigenen.

Mit fünfzehn entdeckte ich - unter anderem auch durch den Deutschunterricht - die Klassiker: Hermann Hesse, Franz Kafka, Johann Wolfgang von Goethe, Rainer Maria Rilke, die Romantiker und soweiter. Meine Deutschlehrerin war entzückt und bediente sofort meine Lust nach Oscar Wilde und anderen exotischen Exkursen, die meinem schwärmerischen jugendlichen Gemüt entsprachen. Dazu gesellte sich der Bereich der Unterhaltungsliteratur, wo ich mich unter anderem für Stephen King begeisterte und ein Werk nach dem anderen verschlang. Ob im Badezimmer, im Auto, am Strand oder sonstwo - Katharina gab es nur lesend, manchmal auch heimlich unter der Bettdecke. Einmal pro Woche spazierte ich in die riesige Eisenacher Bibliothek und kam mit sieben, acht Büchern wieder heraus, viele Jahre lang.

Ich wollte studieren, natürlich Literatur. Und Psychologie. Bücher und Menschen - das war meine Welt! Aber ich hatte ein kleines Kind und der Ernst des Lebens hielt mich fest im Griff. Da studierte man aus Vernunftgründen keine brotlosen Künste! Ich absolvierte eine solide (und langweilige) Ausbildung, hakte meine Leidenschaft fürs Erste ab und las in der Freizeit. Doch sie ließ mich nicht los, diese Liebe zum Buch. Irgendwann packte es mich wieder und machte mich rast- und ruhelos. 

Ich dachte, wenn ich schon nichts über Literatur lernen kann, dann schreibe ich sie eben selbst! Es war, als ob sich die Liebe zum Buch einfach ihren Weg in mein Leben hinein erzwang und erkämpfte, gegen alle Zweifel und Hindernisse. Nach vielen ersten, niedlichen Versuchen kleinerer Geschichten seit der sechsten Klasse nahm ich mir also bewusst vor, ein richtiges echtes Buch zu schreiben, erdachte eine Geschichte und schrieb drauflos. Während mein Baby sein Mittagsschläfchen hielt, entstand mein erstes Manuskript "Sternklare Nacht", das freilich niemals verlegt wurde. Aber darum ging es auch gar nicht. Ich schrieb fortan immer und zu fast jeder Zeit meines Lebens an irgendeinem Buch und war ziemlich glücklich damit.

Trotzdem blieb die Sehnsucht, das Handwerk von der Pike auf zu lernen, mehr Autoren und Bücher kennenzulernen und zu durchdringen, selbst auch besser zu werden. Manchmal ist der Ruf so stark, dass alles Ohrenzuhalten nichts mehr nützt: Nach Beendigung meiner Lehre kickte ich die Vernunft in den Rinnstein, zog mit Kind und Schreibmaschine nach Niedersachsen und meldete mich für ein Magisterstudium der Germanistik und Soziologie an. Ihr wisst schon: Bücher und Menschen!

An der Universität erlebte ich ein El Dorado: Unzählige neue Autoren wie Stefan Zweig, Brigitte Kronauer, Ingeborg Bachmann, Heinrich von Kleist kreuzten meinen Weg... Ein inniger, wissenschaftlicher, tiefgehender Austausch fand statt! Ich war außer mir vor Freude. Jeder Tag an der Uni war ein glücklicher Tag, ich liebte sogar Hausarbeiten und Klausuren! Zwar studierte ich nicht nur Erzähltheorie und Literaturwissenschaft, sondern auch Mediävistik und Didaktik, doch blieb einer meiner Schwerpunkte die erzählte Geschichte. Natürlich - was auch sonst?

Ich möchte an der Stelle nochmal erinnern, dass mir ein Studium, noch dazu in meinem Wunschfach, einst utopisch erschienen, jetzt aber zur Realität geworden war. Umso ernster nahm ich es und umso mehr Herzblut steckte ich hinein. Im Lauf der Studienjahre entdeckte ich für mich außerdem eine Vorliebe für John Irving, Vladimir Nabokov, Irvin Yalom, Pascal Mercier, Henry Miller und andere Autorinnen und Autoren, denen ich noch immer treu bin. Eine Literaturliebe, die mein Herz einmal erobert hat, gebe ich nicht so schnell wieder frei.

Schließlich durfte ich 2004 im Verlag Personalnovel mein erstes Werk veröffentlichen: "Die Zeit mit ihr" wurde kein Knüller, aber meine Liebe zur Literatur hatte auf den ersten Grundsteinen schneller einen kleinen Palast erbaut, als man ihn jemals wieder einstürzen konnte. Der wuchs mit jeder Zeile, die ich tippte. Und keine Erfahrung in der Buchwelt konnte meiner Liebe zum Buch auch nur das Geringste anhaben. Im Gegenteil: Indem ich mir das Rüstzeug erwarb und weiterhin auch als Leserin Erfahrungen sammelte, wurde meine Literaturliebe zu einem Bollwerk, das mich sogar vor den Widrigkeiten des Lebens zu schützen vermochte. Der Weg bis dahin war nicht immer leicht und mit Problemen verbunden, die aber an dieser Stelle den Rahmen sprengen würden. (Sie erfahren gesonderte Behandlung an anderer Stelle.) Das Buch war und blieb mein ständiger Begleiter, in guten und in schlechten Tagen.

Heute bin ich immer noch leidenschaftliche (allerdings inzwischen auch kritische) Leserin. (Denn das Leben ist kurz und man muss sorgfältig wählen, womit man seine Zeit verbringt.) Und ich habe mich frei geschrieben. Ich habe meinen Stil und meine Sprache gefunden und die Geschichten, die erzählt werden wollen, finden in schlafwandlerischer Sicherheit zu mir.

Mit diesem kleinen Bericht über die Liebesgeschichte zwischen mir und dem Buch möchte ich in meine Serie über meine Arbeit als Autorin starten. Ich wünsche dir viel Freude dabei und hoffe, du erfreust dich an einer ebenso innigen Liebe zu etwas, wie ich sie für das gedruckte Wort empfinde!