Ich äußere mich öffentlich kaum je politisch und dass, obwohl ich doch
etliche Jahre lang intensive politische Arbeit geleistet habe, die weit bis in
die Erfahrungswelt des niedersächsischen Landtags hineinreichte. Zudem bin ich
Soziologin, habe die Gesellschaft und ihre Entwicklungen studiert und beobachte
das Weltgeschehen daher auch immer mit einem distanzierten, wissenschaftlichen Auge - und zunehmend mit großen Befürchtungen.
Trotzdem hielt ich mich bislang zurück, was Äußerungen zu politischen und
gesellschaftlichen Themen anging, weil ich mit meinem Blog einen Rückzugsort
schaffen wollte, in dem eben nicht diese Themen im Fokus standen, sondern das,
was unser Leben schöner und besser macht.
In letzter Zeit jedoch bemerke ich zunehmend Veränderungen im Außen, die
auch mein Inneres nachhaltig erschüttern und ich habe mich dazu entschieden,
die bewusst ausgelassenen Themen wieder aufzugreifen. Ich empfinde Angst und
Mutlosigkeit, die sowohl meine eigenen Emotionen, als auch die meiner
Mitmenschen sind, welche sich in meiner Seele spiegeln und sich mir aufdrängen,
ob ich will oder nicht. Ich schlafe nachts nicht mehr gut und kann mich
schlecht konzentrieren. Im Grunde zeige ich viele Anzeichen einer Überlastung,
obwohl meine persönliche Situation diesen empfundenen Stress nur in Teilen
rechtfertigt.
Lasst mich deshalb ein paar Worte formulieren, die mir im Alltag
durch den Kopf gehen. Es sind Gedanken, die mich quälen und belasten, aber aus
ihnen entstehen auch solche, die mich trösten, mir Hoffnung geben und mich
wieder ein Stück weit zuversichtlicher in die Zukunft blicken lassen.
Vielleicht dienen sie euch auch dazu, euch getröstet, verstanden und
zumindest nicht mehr so allein mit euren Kopfgeistern zu fühlen.
Völlige Reizüberflutung und Überfordung? Missmut, Wut, Angst?
In diesen Tagen traut man sich kaum, den Fernseher anzuschalten. Anschläge
in Frankreich und in Wien, in denen wieder Unschuldige ihr Leben lassen, weil
die Seuche des Terrors erneut um sich greift. Das Kopf-an-Kopf-Rennen der
Präsidentenwahl zwischen dem gefährlichen Hohlkopf Donald Trump und seinem
Herausforderer Joe Biden, der - egal, wie er ausgeht - Katastrophen nach sich
ziehen kann. Die Corona-Krise mit all ihren Auswirkungen: Kranke, Tote, ein
möglicherweise bald überlastetes Gesundheitssystem, eine überforderte Politik,
Existenzeinbrüche, die Leugner und Schwurbler, die Unfrieden stiften und die
Maßnahmen boykottieren, eine ungewisse Zukunft, Lockdown light, ungeschützte
LehrerInnen und SchülerInnen an den Schulen dieses Landes und allerorten viel Ratlosigkeit
und Furcht.
Dazu all die Probleme gesellschaftlicher Art, die wir ja auch
vorher schon hatten, wie beispielsweise die himmelschreiende soziale
Ungerechtigkeit, die immer weiter zunimmt und der Klimawandel, der das
Potenzial hat, nicht nur unsere Spezies, sondern den ganzen Planeten
auszulöschen. Und die persönlichen Sorgen und Nöte, die in unserer
überkomplexen, unsicheren und unüberschaubaren Welt auch nicht kleiner werden.
Die Nachrichten gleichen einem Horrorfilm mit schlechtem, weil überladenem
Plot und inzwischen stellen sich mir die Nackenhaare auf, sobald ich eine der
bekannten Nachrichtensprecherstimmen vernehme und ich denke beinahe
automatisch: "Was für eine neue Hiobsbotschaft haben sie heute im
Gepäck?"
In einer solchen Zeit scheint es schwer möglich, Gelassenheit
oder sogar ein bisschen Glück zu finden, weil ein wilder, unangenehmer
Gefühlsmix alles überschattet und die Probleme welche sind, auf die man selbst
nicht einen winzigen Fitzel Einfluss hat.
Ohnmacht also, ein schlimmes Gefühl!
Die Wahrheit ist: Unsere Welt ist am Arsch! Und wir sind es mit ihr! Viele
Menschen spüren das in diesen Tagen deutlich wie nie und es sieht nicht danach
aus, als würde sich die Lage in der nächsten Zeit verbessern. Also, was tun?
No coaching today, sorry.
Heute habe ich keine Coachingtipps für euch. Ein paar Ideen etwa gegen
herbstlich-saisonales Unwohlsein zu posten wäre, wie ein Pflaster auf
einen Körper zu kleben, der mit zig Messerstichen drangsaliert wurde: Bemüht
zwar, aber ein bisschen lächerlich. Ihr müsst euren Weg durch das Dickicht
unserer ungemütlichen Zeit also leider selbst finden.
Aber ich kann euch sagen, was ICH tue, im Rahmen meiner wirklich beschränkten Möglichkeiten, damit es mir
besser geht. Vielleicht habt ihr ja ähnliche - oder ganz andere - Gedanken?
Ich lasse zu, dass mein Weltgefüge erschüttert wird und ziehe
meine Lehren daraus. (Als Wendekind kenne ich das ja schon. Ich habe schonmal erlebt, dass kein Stein auf dem anderen blieb und meine Welt, wie ich sie kannte, plötzlich nicht mehr existierte.)
In einer Welt, in der die alten Normen und Regeln nicht mehr gelten, in
einer Welt, die die Vernunft hinter sich gelassen hat, wäre es idiotisch, sich
selbst noch einem überholten Kodex zu verpflichten, der sowieso Makulatur ist!
Bis gestern waren Selbstoptimierung, Erfolgsstreben, Ellbogendenken unsere
Götzen. Es galt etwas zu erreichen! Höher, schneller, weiter! Niemals
verschnaufen, denn das gilt als faul, sich immer weiterentwickeln, besser
werden, mehr leisten, mehr dienen und mehr VERdienen, sich stärker verbiegen,
um - Ja, warum eigentlich?
War das nicht ein irrer Alltag, in dem man seine
eigene Stimme nicht vernahm, weil alle um einen herum zu laut waren? In dem man
die eigenen Bedürfnisse und Grenzen ignorierte, bis man zusammenbrach? Für
einen Job, für ein bescheidenes Einkommen, für Prestige und Status, für Konsum
- Ja, wofür eigentlich?
Dieses Hamsterrad habe ich - wie viele - zunächst erzwungenermaßen, dann
freiwillig verlassen und ich verspüre keinerlei Lust, es wieder zu betreten.
Neulich noch versuchte ich über Gebühr, mich anzupassen, allen und allem
gerecht zu werden, meinen mir angedachten Platz in der Gesellschaft
pflichtbewusst und PERFEKT auszufüllen. Wie viele Menschen sehnte ich mich nach Anerkennung, die nie kam. Wie viele Menschen nahm ich mir kaum je Zeit, die
Dinge zu überdenken oder mich zu fragen, worum es in meinem Leben eigentlich
wirklich gehen soll. Wie viele Menschen lieferte ich, ohne zu hinterfragen, und
begriff erst spät, dass ich auf völlig falschen Pfaden unterwegs war. Dass ich
mich von Ängsten und oberflächlichen Wünschen treiben ließ und mich selbst
dabei aus den Augen verlor. Dass meine Antreiber von außen kamen und meinen eigenen
echten Sehnsüchten nicht mal im Ansatz entsprachen!
Diese Zeiten empfinde ich als vorbei. Sie werden nicht zurückkehren, wenn
Corona vorüber ist und auch die anderen Krisenherde sich beruhigen. Jedenfalls
für mich nicht! Im Grunde ist mein Wunsch, mein Leben mit Tätigkeiten zu
verbringen, die mich erfüllen, die ich gut kann, die etwas Gutes in die Welt
tragen. Ich möchte mit Leidenschaft und Überzeugung tätig sein. Ich möchte
meine Aufgaben sorgfältig, in Ruhe und mit Liebe erledigen. Wenn mich etwas berührt,
schenke ich ihm meine ganze Kraft, meine volle Aufmerksamkeit und mein gesamtes
Potpourri an wunderbaren Fähigkeiten! Unter den gewohnten
Arbeitsbedingungen ist das bislang schwer bis gar nicht möglich gewesen, da
wird sich Einiges ändern müssen. Zum Glück, darauf vertraue ich, wird früher oder
später auch das starrste und widerspenstigste aller Systeme zu Veränderungen gezwungen,
wenn es sich selbst überlebt hat.
Ich weiß jetzt, wer ich bin, was ich kann, was ich will, denn ich hatte viel Zeit, um nachzudenken.
Und ich möchte nicht mehr perfekt sein müssen, kein perfektes Leben mehr führen müssen. Ohne Scham und Schuld will ich alles an mir anerkennen, was da ist, Fehler machen, Schwäche zeigen, irren, fallen, aufstehen und es neu versuchen. Die Welt ist ja auch nicht perfekt, wie sie wohl bewiesen hat! Woher nähme sie die Arroganz, dies von mir zu verlangen?
Ich nehme mir die Freiheit heraus, die Dinge neu und anders zu bewerten.
Denn auch die eigene innere Einstellung spielt eine große Rolle!
Die
Götter von gestern entlarven sich selbst als Gespenster, deren Spuk nicht mehr
wirkt: Es braucht kein Schulterklopfen von außen, es braucht lediglich die
eigene innere Überzeugung, das Richtige zu tun! Es braucht innere Unabhängigkeit
und den Mut, den alten Göttern nicht mehr zu huldigen! Es braucht neue, frische
Ideen und andere Wege.
Die „alten“ Werte lagen mir nie, ich war für diese Welt
der aufgepimpten Egos immer schon zu sensibel. Aber welche Werte bleiben, wenn
die hochgehaltenen Flaggen der Vergangenheit im Wind nur noch müde wedeln?
Menschlichkeit,
Mitgefühl, eine unbedingte Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit –
all diese Werte, die in der elitären Welt voller gegeneinander kämpfenden Individuen
belächelt und verächtlich in die Ecke des Versagens geschoben wurden. Jetzt
sind sie wichtiger denn je! Daran sollten wir immer denken, wenn wir schimpfen,
jammern, Neid, Groll oder Wut empfinden, unter dem Spaltenden und Trennenden leiden,
die Abgründe zwischen uns und anderen bewusst vergrößern.
Wir alle haben es ein
Stück weit selbst in der Hand, mutig unserem echten Weg zu folgen oder ihn zu
verweigern. Und wir selbst können entscheiden, wie wir der Welt und den
Menschen darin begegnen: Heucheln wir Scheinharmonie? Fechten wir blutige Schlachten
aus, um unseres eigenen Vorteils willen? Jagen wir verheißungsvollen
Trugbildern hinterher? Oder besinnen wir uns auf das, was uns allen dient und
die herumfliegenden Trümmer zu einem neuen Bild zusammenfügt?
Wenn jetzt nicht die Zeit ist, sich zu diesen positiven Werten zu bekennen, wann dann?
Es ist an der Zeit, all die Pioniere und Visionäre
endlich zu hören! Die Kreativen und Verrückten, die klugen Köpfe, die Weltverbesserer
und Utopisten! Nicht mehr zu kämpfen, vor allem nicht gegeneinander. Solidarität
und Verbundenheit zu spüren! Im besten Fall selbst etwas zu den Visionen von morgen
beizutragen! Denn das ist alles, was bleibt, wenn unsere alte Welt
zusammenbricht und nur, wenn wir im Schulterschluss stehen, können wir uns aus den
Trümmern eine neue bauen.
Der erste Schritt ist, sich selbst als liebenswertes
und liebendes Geschöpf zu begreifen, nicht mit dem Verstand, sondern mit dem
Herzen. Der zweite ist, der Welt diese Überzeugung auch mitzuteilen. Der
dritte, eine gesunde, faire Balance zwischen den eigenen und fremden Bedürfnissen
zu finden. Und der vierte – ein Königsweg freilich – dem Gegenüber auf
Augenhöhe zu begegnen, in Kommunikation zu kommen (und zu bleiben), und Konflikte
fair auszutragen.
Für mich bedeutet das in der Konsequenz außerdem, dass ich Scheinheiligkeit
und Lügen noch weniger dulde als früher schon. Sie verursachen in mir ebenso Übelkeit
und Widerwillen wie Ungerechtigkeit, Dummheit und blinder Aktionismus, und
dieses Gift will ich nicht länger schlucken. Nicht zuletzt aus diesem Grund
entsteht gerade dieser Artikel. Ich werde mich zeigen, mit meiner Angst, meinem Mut, meinem Zorn, meiner Hoffnung, meiner Liebe. Ich werde mich äußern.
Ich werde mich der Welt so zumuten, wie die Schöpfung mich gedacht hat.
Ich verbinde mich.
Es gibt heutzutage prima Technologien, um sich überall und jederzeit mit
Menschen, denen man sich nahe fühlt, zu verbinden. Nähe entsteht nicht im Raum,
sondern in der Seele! Zu diesem Punkt gibt es nicht mehr zu sagen.
Oder doch?
An der Stelle ein liebevolles und herzliches Dankeschön an die Menschen, die ihre Leben mit mir teilen! Diese Menschen machen mein Dasein hell und sinnvoll.
Du weißt, wenn auch du gemeint bist! :-) Und lächelst jetzt, da bin ich sicher.
Ich konzentriere mich auf das Wesentliche.
Rückzug ins Private verlangt nicht nur der Lockdown per Definition – es scheint
zunehmend immer weniger reizvolle Alternativen zu geben. Natürlich fehlt auch
mir die Möglichkeit, kulturelle Veranstaltungen zu erleben, denn die haben wir
früher häufig und gern mitgenommen. Auch das Reisen vermisse ich sehr, weil
mein Hirn manchmal nach neuen Eindrücken giert. Aber wisst ihr was? Das Genörgel
und Gemecker, was alles nicht mehr geht, (auch mein eigenes!) geht mir ziemlich
auf den Wecker! Es geht nämlich noch eine ganze Menge!
Für mich ist das Wesentliche scheinbar klein und unbedeutend, doch bei näherer
Betrachtung ist es das Eigentliche: Wenn ich ein Essen zubereite, selbstversunken
Gemüse schneide, im Topf rühre und der Duft von Kräutern und Gewürzen sich in
der Küche verteilt, dann empfinde ich Glück! Wenn ich durch das, was von unserer
schönen Natur noch übrig ist, laufe, die Vögel singen und das Wasser plätschern
höre, auf einen Baum klettere oder das bunte, weiche Laub unter den Füßen spüre,
denn wird meine Kehle ganz eng vor lauter Ehrfurcht und Zuneigung – und dann
empfinde ich Glück! Ich kann eine tolle Serie gucken, ein Spiel spielen, ein Bild
malen, ein Buch lesen oder eins schreiben! Ich kann heißen Tee auf dem Sofa
trinken, eingemummelt in eine kuschelige Decke. Ich kann ein Tier streicheln,
den Himmel betrachten, wenn die Wolken darüber hinwegziehen, einen Kuchen
backen, Sport machen. Ich kann mich geborgen in die Arme meines Lebensgefährten
schmiegen und mich für den Moment sicher und beschützt fühlen, während draußen
der Sturm um das Haus fegt. Ich kann mich an den Farben um mich herum erfreuen,
an jenen, die ich am Leib trage und jenen, die mein Heim schmücken. Ich kann
einen Igel und einen Maulwurf und eine Schnecke beobachten und den Frosch, der
seit dem Frühjahr in unserem Teich wohnt. Ich kann mich austauschen oder streiten, ich kann nachdenken,
ich kann lust- und angstvoll meine inneren Kämpfe ausfechten, ohne mich dafür
zu verurteilen. Ich kann in einem sauberen Bett schlafen, ich kann neue Ideen
aus meinem Kopf holen, ich kann mit meiner Imaginationskraft atemberaubende
Welten erschaffen. Bei alldem fühle ich Glück – und weil ich mir dies auch
bewusst machen, vergesse ich nicht, mich über dieses Glück zu freuen.
Ja, auch ich habe schon die ein oder andere Hölle gesehen, aber heute, in
dieser Sekunde, ist es NICHT die Hölle, die mich umgibt, sondern es bleibt ein
Meer an Möglichkeiten. Und es stünde uns manchmal maßlos anspruchsvollen
Menschlein gut zu Gesicht, hin und wieder dankbar für alles zu sein, was eben doch
gut und richtig in unserem Leben ist. Denn auch - und gerade - in einer absurden Welt gibt es Dinge, die gut und richtig sind. Das wusste schon Albert Camus und ich wiederhole es gern. Auch und besonders für mich selbst!
Ich bin.
Ich bin hier - ich denke und fühle, ich handle und agiere, ich bin ein Sandkorn unter vielen in der Wüste. Aber ich bin da. Wie jedem von uns sitzt mir tagtäglich der Tod im Nacken und er mahnt, die Zeit nicht zu verschwenden. Denn diese begrenzte Zeit in einem begrenzten Raum, die uns zur Verfügung gestellt wird, ist meine einzige Gelegenheit, eine Spur zu hinterlassen, und mag sie auch noch so klein sein.
Ich habe fertig.
Der Artikel ist lang geworden und hält sich weder an journalistische
Vorgaben, noch an die Art, wie ich eigentlich schreibe. In gewisser Weise ist
er authentischer als alles, was ich sonst schreibe. Es ist, als sei meine Persönlichkeit
einfach herausgeploppt wie ein Korken aus der Flasche, um sich mal richtig die
Augen zu reiben und sich nach dem Erwachen in der Welt umzusehen. Zurück in die
Flasche kann sie nicht!
Ein reißender Strom, der sich einmal über die Ufer
seiner Grenzen erhoben hat, kann es sich nie wieder in einem viel zu engen Flussbett
behaglich machen.
Ich wünsche euch alles Liebe, bleibt gesund, besonnen und innerlich stark.
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